Abstracts

 

Willem J. AERTS
Imitatio, aemulatio, variatio im byzantinischen Alexandergedicht

Wie vermutlich bekannt, habe ich 2002 begonnen, eine Neuausgabe des byzantinischen Alexandergedichtes vorzubereiten, mit ausführlicherem apparatus criticus als in der Edition Reichmanns und mit Kommentar. Es gibt nur eine Handschrift (Marcianus gr. 408), und für alle Stellen mit problematischen Lesarten muss Information aus anderen Quellen herangezogen werden, vor allem aus der Vorlage, dem Alexanderroman selbst. Dieses Verfahren fordert “close reading”, gibt aber auch die Möglichkeit, die Fragestellung des Konferenzthemas in Bezug auf das Alexandergedicht anzuwenden.

Wo das Gedicht im Grunde eine Umdichtung des Romanstoffes ist, ist das Element der imitatio natürlich nicht wegzudenken. Das braucht nicht zu bedeuten, dass die Gestaltung der Alexanderfigur im Gedicht stets identisch sei mit der im Roman. Das Element der aemulatio ist auch im Gedicht nachzuprüfen. Der Autor hat die Erzählung an etlichen Stellen mit Geschichten erweitert, die später dem Romanstoff zugeführt wurden, wie z.B. mit Alexanders Begegnung mit dem Hohepriester von Jerusalem oder seinem Verfahren mit Gog und Magog. Variatio lässt isch ebenfalls in vielerlei Hinsicht feststellen, schon der Prozedur der Versifikation aus einem Prosatext in politische Verse wegen. Schließlich kann man die Frage aufwerfen, welches der drei Elemente – imitatio, aemulatio oder variatio – dem Dichter die wichtigste Anregung für sein Unternehmen verschafft hat.

 

Eirini AFENTOULIDOU-LEITGEB
Eine Dioptra-Adaptierung aus dem Kreis des Michael Kantakuzenos (†1578)

Im Codex Athon. Dionysiu 178 wird ein Text in politischen Disticha überliefert, der ca. 1570 von Ioannes Malaxos geschrieben wurde. Im Prolog steht, dass es sich um ein μεταγλότισμα der Dioptra handelt. Das Original, am Ende des elften Jahrhunderts vom Mönch Philippos in einer einfachen Hochsprache in ca. 7000 politischen Versen verfasst, hatte eine große Popularität erlangt.Nun beauftragte Michael Kantakuzenos einen sich anonym haltenden Gelehrten, der möglicherweise mit dem Kopisten Ioannes Malaxos identisch ist, den byzantinischen Text in eine zeitgenössische Sprachform zu übertragen. Im Prolog beschreibt dieser seine Tätigkeit als einen Versuch, die Dioptra verständlicher zu machen, indem er den Sinn ohne Rücksicht auf die klassische Grammatik und auf stilistische Feinheiten treu wiedergibt. Doch ist der Text keine Paraphrase, sondern vielmehr eine Adaptierung der Dioptra: Er weist viele Abweichungen, Vereinfachungen, Verkürzungen, aber auch Erweiterungen des Originals auf, und das in einer Form, die den literarischen Geschmack der Zeit widerspiegelt. In diesem Vortrag wird der Adaptierungsvorgang untersucht, einerseits aufgrund der Aussagen des postbyzantinischen Autors zu seinem Werk, andererseits durch einen Vergleich des byzantinischen Originaltextes mit der Adaptierung.

 

Theodora ANTONOPOULOU
On the Reception of Byzantine Homilies:
Metrical Prefaces and Metaphrasis

The study of the ways patristic and later Byzantine homilies were received by the Byzantines themselves usually focuses, and rightly so, on the one hand, on the investigation of their manuscript tradition, which allows an evaluation of their diffusion and readership, and, on the other, on their use in later texts, as indicated, for example, in the apparatus of sources accompanying modern editions. Leaving those major aspects of the problem aside, the present paper deals with a little noticed, yet characteristic case of the reception of homilies by later medieval audiences.
The paper presents a group of poems that were composed to serve as prefaces to earlier homilies and accompanied their public recital. Some of these metrical prefaces were pointed out in the past, the best known examples being the ones by Manuel Philes. The paper groups together a considerable number of such published poems, of which no special study exists, and offers a survey of their various aspects. Emphasis is placed on tracing the links of the poems with their reference texts and the need for literary innovation these poems represent.
Particular attention is paid to a text within this group, which was published from a fifteenth century codex long ago, but has gone unnoticed so far, even though it is noteworthy in two respects: its title describes it as a metaphrasis of a homily attributed to St. John Chrysostom; moreover, it is a verse metaphrasis. The poem is commented upon here for the first time.

 

Alexandru CIZEK
Ein Sonderfall von sprachlicher aemulatio:
Zur gräzisierenden Figurenlehre im lateinischen Mittelalter

Das sogenannte Schulgriechische oder Lexikographen-Griechische hat Jahrhunderte lang, bis ins Spätmittelalter hinein den Lateinunterricht dominiert, so anhand dazugehöriger Grammatikhandbücher wie des Doctrinale des Alexander de Villa Dei, des Grecismus des Eberhard von Bethune, des Novus Grecismus des Konrad von Mure, weiters anhand der Lexika, so der Magne Derivationes des Hugutio, des Catholicon des Johannes Balbi, wobei man vom korrekten Griechischen, das die zeitgleichen Übersetzer, vornehmlich diejenigen der aristotelischen Traktate, beherrschten, keine Notiz nehmen wollte. Hierbei entstellte oder erfand man grammatische Paradigmen, man schuf Gräzismen wie chirotheca oder Architrenius, und man erdachte griechische Etyma für zahlreiche lateinische und sogar für hebräische Begriffe.Auch die traditionelle griechische Terminologie der Figurenlehre, so diejenige aus den Traktaten Donats und Priscians, erlag demselben Trend der “Gräzisierungssucht”. So kamen Entstellungen zustande wie asimbasma, tantologia, homotelenton, die dementsprechend falsch erklärt wurden. Es wurden außerdem imaginäre Termini wie boethesis und moethesis für schwer erklärbare grammatische Figuren als auch neuartige Stilfiguren geboten, deren Denomination sie verständlich erscheinen lassen, wie fantasia, tropologia, omopathia/omopasia, anthropospathos, ydiopasis, deren Provenienz nicht immer leicht zu finden ist.

 

Carolina CUPANE
Jenseits des Schattens der Alten?
Zum Umgang mit der Tradition in der volkssprachlichen Erzählliteratur

Beim Versuch, den „Sitz im Leben“ der sogenannten volksprachlichen Literatur innerhalb der gesamten literarischen Produktion von Byzanz zu bestimmen, sieht man sich noch immer mit widersprüchlichen Aussagen konfrontiert, wobei das Pendel von Byzanz weg zu Neograeca Medii Aevi ausschlägt. Sogar die genaue Festlegung dessen, was als Volksliteratur gilt oder gelten kann und soll, ist mitunter umstritten. Neben dem sprachlichen Gewand bilden meistens Inhalt und Motivik die eigentlichen Unterscheidungskriterien. Sie erlauben es, mit einer gewissen Berechtigung ihre – an byzantinischen Maßstäben gemessen – Andersartigkeit zu postulieren, was Hans-Georg Beck als „Abschied von der Philologie“ ansprach.Eine Ausnahme bildet dabei die Gattung des Liebesromans, bei dem Konsens über seine Einbindung in die byzantinische literarische Tradition herrscht. Weniger untersucht ist allerdings, wie sich eine derartige Einbindung, über die (immer wieder registrierten und gattungsbedingten) thematischen Gemeinsamkeiten hinaus konkret manifestiert. Gemeinhin werden unmittelbare Mimesis und Intertextualität mit dem Hinweis auf die Kraft und Verbindlichkeit des gemeinsamen Bildungskontextes ausgeschlossen.Der Beitrag will zum einen die Existenz eines subtilen intertextuellen Dialoges mit der romanhaften Tradition von Antike und Byzanz im volkssprachlichen Roman der Palaiologenzeit anhand ausgewählter Beispiele dokumentieren, zum anderen die kreative Art aufzeigen, traditionelle Vorgaben und Topoi umzuformen. 

 

Kristoffel DEMOEN
‘Have you found some novel phrasing in my verse?’
Tradition and originality in the personal poems of Christophoros Mytilenaios

Among Christophoros' στίχοι διάφοροι , some successive poems clearly form a coherent unit.One of the most interesting of these short cycles consists of the poems 75–79 Kurtz. The first three deal with the death of the poet’s sister Anastaso; the other two address the grammarian Petros, who was allowed to read a kind of pre-publication of one of the preceding funeral poems. Poem 79 is an answer to Petros’ comment on Christophoros’ verse. Unfortunately – and typically – it is preserved in a very lacunose state, but we can infer from the remaining lines that the elegy was appreciated and that its quality was judged by appropriate criteria: the reader’s response paid attention to the form, rather than to the contents. It is equally plain that the poet expected such a stylistic criticism: the explicitly mentioned qualities that may have led Petros to "find something valuable" in the poem are κομψότης (elegance), καινή καί ξενίζουσα φράσις (novel and unusual phrasing), and ποικιλία (variety).Christophoros Mytilenaios has a very good press among Byzantine scholars: along with his contemporary John Mauropous, he is often considered as one of the highlights of Byzantine non-liturgical poetry. The research on his corpus, however, is relatively scarce (although there seems to be a modest upsurge the last few years), and focuses mainly on the historical and contextual information to be drawn from it – an obviously interesting and rewarding approach, to be sure. My own aim is to present a reading of the collection along the lines suggested by the poet himself in his messages to Petros: what is elegant, novel, unusual and varied about it?I shall concentrate on the poems dealing with the poet's personal life, mainly the death of close relatives. Funeral poems have a long tradition, which makes them particularly suited for an analysis from the perspective of imitation, emulation and variation. In order to assess Christophoros’ position within middle Byzantine poetry, I shall compare his poetry especially with two related, and equally well reputed collections of various verse, those of John Geometres and John Mauropous.

 

Niels GAUL
Beyond the “classical” paradigm? Byzantine mimesis and the revival of
second sophistic studies

The second sophistic, long scorned by classicists, has recently become such a fashionable topic of research that one fears it might be no more than a bubble about to burst. Historians of late antique and Byzantine cultural and literary history, seeing at long last the chance of vindicating their subjects, eagerly followed the lead. (However, the much hoped for reevaluation of Byzantine rhetoric by classicists has not yet occurred.) There are now at least two rivalling “third sophistics”: Laurent Pernot applied the term to the Christianized culture of the fourth through sixth centuries of the common era, while Anthony Kaldellis advanced the same term in order to describe his concept of twelfth-century Hellenism. My own forthcoming monograph on early fourteenth-century scholarship proposes a “late Byzantine sophistic,” attempting to re-define certain aspects of Palaiologan rhetoric as a conscious revival of deuterosophistic politics, rather than a “barrier” that needed to be overcome. On the other hand, just as in antiquity, the term “sophist” continued to carry negative connotations in Byzantium: no self-regarding rhetor or rhetorician would easily have suffered being called such.My presentation will attempt to assess critically this new fashion and its (dis)advantages regarding the study of Byzantine rhetoric. What aspects of the complex socio-historical phenomenon nowadays referred to as “second sophistic” were revived, imitated, emulated at any given time through the Byzantine Middle Ages? If the second sophistic is indeed soubiquitous in Byzantine culture, is it a useful research tool beyond being a promising “marketing strategy” (what do we have to gain by declaring a third, fourth, fifth sophistic)?Will the current strategy result in the emancipation of Byzantine rhetoric from classical paradigms or, on the contrary, prolong their rule with different means? The presentation will draw on the manuscript evidence; also, by way of contrast, it will be helpful not to loose sight of the role of the “genuinely” Attic orators in Byzantine schooling and learning. 

 

Antonia GIANNOULI
Byzantinische Fürstenspiegel: Paränese zwischen Enkomion und Psogos

Die an einen zukünftigen byzantinischen Kaiser gerichteten ermahnenden Schriften, welche nachträglich in westlicher Terminologie als Fürstenspiegel bezeichnet werden, gehören zu den Erzeugnissen der rhetorischen Praxis in Byzanz. Nicht nur die aus der Schulrhetorik bekannten rhetorischen Mittel, sondern zum Teil auch der Inhalt bzw. die Belehrungen scheinen bereits in der Antike festgelegt: Die Belehrungen in Bezug auf die Merkmale, diedas ideale Herrscherbild ausmachen, stellen den Kern der Fürstenspiegel dar. Zum einen gehen sie auf die griechische Antike zurück, zum anderen wurden sie unter dem Einfluss der christlichen Auffassung über das ideale Herrscherbild entwickelt.Die bisherige Forschung über diese Texte befasst sich sowohl mit gattungsgeschichtlichen, als auch mit historisch-politischen Fragen. Es ist zudem bereits erwiesen, dass die byzantinischen Autoren trotz der bewussten imitatio einer Tradition in inhaltlicher sowie in rhetorischer Hinsicht auch von dieser abweichen. Die erhaltenen Fürstenspiegel aus Byzanz weisen aber auch eine beträchtliche variatio auf, sowohl in der Form der Darbietung als auch in der Betonung ihrer Merkmale. Diese Verschiedenheit bezeugt einerseits das Bemühen der Autoren, den jeweiligen Adressaten an ein bereits ausgeformtes Bild anzupassen, und andererseits ihre Ambition, sich mit ihren Vorgängern zu messen oder sie gar zu überbieten.Die im Beitrag darzubietende Analyse bestimmter Mittel der Ermahnungs- und Überredungskunst zeigt diese zum ersten Mal in ihren verschiedenen Formen auf, so dass bekannte Beobachtungen und Feststellungen der bisherigen Forschung ergänzt und konkretisiert werden können.

 

Michael GRÜNBART
Zusammenstellen vs. Zusammenstehlen – zum Traditionsverständnis in Byzanz 

Bei der Beschäftigung mit byzantinischen schriftlichen Quellen stellt man fest, dass nicht nur Zitate eingestreut, sondern oftmals ganze Passagen in den Textkörper eingefügt wurden. Liegt das nur am Traditionsbewusstsein der Byzantiner oder gibt es auch andere Gründe? Ist der in der modernen Zeit negativ konnotierte Begriff „Plagiat“ auch den Byzantinern geläufig? Gab es geistigen Diebstahl?Anhand von Beispielen aus der rhetorischen Literatur wird versucht, byzantinische Einstellungen zur Wiederverwendung von Vorbildern zu fassen. 

 

Jana GRUSKOVÁ
Zur Demosthenes-Rezeption in Byzanz
auf der Grundlage der handschriftlichen Überlieferung (bis zum 10. Jh.)

Durch die Vielzahl der erhaltenen Handschriften zählt Demosthenes zu den am häufigsten überlieferten Autoren der Antike. Vor allem mit dem Sieg des Attizismus wird er zum intensiv studierten, kommentierten und vorbildhaften Modell der Redekunst schlechthin.Auch während der byzantinischen Zeit ist die intensive Beschäftigung mit seinem Werk nicht abgerissen. Er gehört zu den wichtigsten Prosaautoren im byzantinischen Unterricht und gilt als Vorbild der Rhetorik, die einen exzeptionellen Stellenwert besitzt; in den Scholien wird er als „der Redner“ par excellence bezeichnet.Die Aspekte der Demosthenes-Rezeption in Byzanz werden im Rahmen eines ab Juli 2008 am Institut für Byzanzforschung der ÖAW laufenden dreijährigen Projektes zur Aufarbeitung der griechischen Demosthenes-Handschriften von der Antike bis zum elften Jahrhundert (unter paläographischen, kodikologischen und textkritischen Gesichtspunkten) systematisch untersucht.Handschriften sind nicht als statisches Element zu betrachten. Korrekturen, Glossen, Marginalien belegen einen Diskurs zwischen Autor/Überlieferung und Leser/Benutzer. Bei einer Analyse der geistes- und kulturgeschichtlichen Hintergründe sowie der geographischen und zeitbedingten Gegebenheiten der Entstehung und des Nachlebens der wichtigen Textzeugen sind neue Erkenntnisse zu Datierung, Lokalisierung und Beziehung von Handschriften sowie zu Kopisten und Gelehrten, die diese Codices einst in Händen hatten, zu erwarten. Daraus werden Materialien für ein vertieftes bzw. differenzierteres Bild der Demosthenes-Rezeption in Byzanz gewonnen.Der Konferenzbeitrag stellt das neue Projekt vor. Den Schwerpunkt bilden die Beobachtungen zur Demosthenes-Rezeption in Byzanz bis zum zehnten Jahrhundert (Libanios, Zosimos, Photios u. a.).

  

Elizabeth JEFFREYS
Mimesis in an ecclesiastical context: the case of Iakovos Monachos

That writers in Byzantium acknowledged their peers and their predecessors with subtly careful reflections of their phrasing is a cliché. Less of a cliché is a detailed exploration of how this process was put into practice. The correspondence of the monk Iakovos provides a fascinating case-study of an extended mimesis of the epistolary style of the Cappadocian Fathers, spilling over into the homiletic. From the late 1140s there is preserved a set of 43 letters, and a tract on the Holy Spirit, sent by Iakovos to his spiritual daughter, the sevastokratorissa Eirene, in which scarcely a sentence can have been independently composed: sources have been found for virtually the entire corpus, ranging from one word (identifiable by its context) through interwoven snippets of three or four words, to entire paragraphs. Brief discussions of these letters have been published over the last twenty years. Now that the editio princeps is finally moving towards completion, this paper will present further debate about the implications of Iakovos’ method of composition – for his own mentality, his book resources and education, and the expectations of his addressee.

 

Foteini KOLOVOU
Michael Psellos: Philosophie und Rhetorik

Die Frage, inwiefern Michael Psellos den Vorzug unter den Künsten und Wissenschaften der Rhetorik oder der Philosophie einräumte, oder ob er Rhetorik und Philosophie als konkurrierende und sich ergänzende Disziplinen sah, kann durch die Untersuchung des Begriffes „Mythos“ in seinen Werken beleuchtet werden. In seinen oratoria und philosophica minora thematisiert Michael Psellos den Mythos als Instrument rationalen Denkens und verteidigt ihn als geeignete geistige Kost für die Erziehung des Menschen. Zwar vermittelt der Mythos der Griechen, der nach Psellos einmal „das Beste aus Wissenschaften und Künsten in sich vereinigt“, ein andermal provokativ zu den „niederen und gemeinen Dingen“ zählt, keine historische Wahrheit, kann aber eine geheime, nur von philosophisch Denkenden und Nachfragenden wahrnehmbare Wahrheit ans Licht bringen. Darin ähnelt er der Poesie, „die hinter der Gestalt des Mythos die Geheimnisse der Philosophie verbirgt“, oder der Rhetorik, die sehr geschickt „hinter kunstvollen Vorhängen“ Gedanken verdeckt.Gerade in dieser verborgenen Wahrheit, die als gemeinsame Eigenschaft von Mythos, Rhetorik und Poesie besteht, liegt für Michael Psellos der Reiz, den Mythos nach Platonischem und Neuplatonischem Vorbild in sein Gedankengut einzubeziehen und ihn als Mittel für die Erziehung und Bildung des philosophischen Menschen einzusetzen. 

 

Markéta KULHÁNKOVÁ
Betteldichtung des 12. Jahrhunderts:
Kombination des Klassizismus mit der Volkstümlichkeit

Die byzantinische Literatur des 12. Jahrhunderts charakterisieren zwei scheinbar entgegengesetzte Neigungen, die Lust zum Experimentieren einerseits und die stete Verankerung des Neuen in der antiken Literatur andererseits. Beide Tendenzen sind oft gleichzeitig in ein und demselben Werk feststellbar (ein bekanntes Beispiel unter vielen ist etwa die Alexias der Anna Komnene). Die Betteldichtung, zu deren Vertretern nicht nur die Ptochoprodromika und manche Gedichte des Theodoros Prodromos, sondern auch ein Teil des Werks des Manganeios Prodromos und das Kerkergedicht des Michael Glykas zählen, ist als Repräsentant par excellence der innovativen Tendenzen in der byzantinischen Literatur dieser Zeit zu werten. Als solche gelten zweifellos die erstmalige literarische Anwendung der sogenannten Volkssprache in den Ptochoprodromika und im Kerkergedicht des Glykas, sowie die Neigung zur Individualisierung der Literatur und die starke satirische Färbung, die bei allen Vertretern der Betteldichtung erkennbar sind. Das Ziel meines Beitrages ist, zu demonstrieren, wie die Betteldichter auf originelle Art und Weise zwei Inspirationsquellen kombinieren, und zwar neben der antiken Literatur auch die Folklore, welche die Autoren gerade in dieser Zeit für sich zu entdecken beginnen. Dabei werde ich zunächst die längst beobachtete Verwendung volkstümlicher Sprichwörter und dann die mögliche Anwendung der poetischen Technik des Volkslieds analysieren. Schließlich werde ich eine Quelle für einzelne motivische Gemeinsamkeiten als Arbeitshypothese vorschlagen. Diese drei Stränge sollen anhand konkreter Beispiele verdeutlicht werden:1. Michael Glykas kombiniert in seinem Kerkergedicht biblische Zitate mit kunstvoll variierten volkstümlichen Sprichwörtern.2. Manganeios Prodromos bedient sich der biblischen Metaphorik und der üblichen homerischen Anklänge, wendet aber zugleich die volkstümliche literarische Technik an.3. Zwischen dem Kerkergedicht des Glykas, dem III. Gedicht der Ptochoprodromika (Nummerierung nach Eideneier) und dem XXXVIII. Gelegenheitsgedicht des Theodoros Prodromos (ed. Hörandner) lassen sich bedeutende motivische Parallelen feststellen, ohne dass man dabei den Geber eindeutig identifizieren könnte. Meine Hypothese ist, dass alle drei Gedichte von einem nicht erhaltenen, wahrscheinlich in der Volkssprache verfassten Vorbild ausgehen. Im Licht dieser Hypothese wäre Prodromos’ Gedicht als ein origineller Versuch anzusehen, den volkstümlichen Inhalt mit einer extrem archaisierenden Form zu verbinden.

 

Antony LITTLEWOOD
Quotidian Imagery in the History of Niketas Choniates

Although Byzantine literary criticism has in the last few years increasingly demonstrated the individuality of many authors, the belief has not yet completely died that for imagery (as well as even more notoriously for quotations) recourse was regularly and unthinkingly made to common-place books at worst, to slavish repetition of remembered passages in classical authors at best.In a recent article1 I endeavoured to demonstrate how Michael Psellos took great pains both to use imagery appositely, even when the same imagery was used in different contexts, and also to place his personal impress upon the imagery by almost unfailingly varying his language. In a further article2 I began to examine the imagery of Niketas Choniates. Here two differences between the historians become apparent: first, whereas Psellos usually restricted himself to a single image in each instance but often extended it ingeniously (on one occasion over a few pages), Choniates loved to supply a variety of images for the same target; and, second, whereas both enjoyed and employed in similar manner vegetal and agricultural imagery, Psellos on the one hand evinced little interest in the animal world, specifying, apart from the mythological griffin, only one order (snakes) and two species (lion and monkey), and contenting himself simply with general words for “beasts”, Choniates on the other delighted in effectively drawing images from no fewer than sixty-eight different species. Another very clear distinction can be drawn between their use of imagery drawn from everyday objects. Psellos has little here, and what he does have can usually be shown to be variations on traditional themes. Choniates, on the other hand, has a vast array of images, which ranges from buildings and their furnishings (walls, ramparts, beams, screens, doors, lamps, mirrors, footstools, caskets) to clothes and adornments (girdles, shoes, earrings, jewels, pearls), to items of the kitchen and table-ware (amphorae, wineskins, kegs, kettles, ladles, cups), to implements (mortars, pestles, anvils, whetstones, plumb-lines, tightropes, pens), to games (balls, draughts, dice). It is the purpose of this paper to survey this side of Choniates’ imagery, a more humble side, though still imbued with artistic variation, and one in which much is due to the historian’s  own observation of daily life. 

 

Henry MAGUIRE
Metaphors of the Virgin in Byzantine Literature and Art

My paper is concerned with the problem of metaphor in Byzantine art, with a focus on images that evoked the Virgin. In the fifth and sixth centuries, Byzantine homilists and poets created a rich repertoire of metaphorical images to describe the Virgin, many of which were derived from nature. These metaphors were repeated in sermons and hymns until the end of Byzantium. Many of the metaphors were also illustrated in Byzantine art, but much less frequently than they appeared in literature, and not at all periods. In sixth-century art we can already find the Virgin accompanied by a variety of symbolic motifs derived from the natural world, which were drawn from the vocabulary of fruitfulness and abundance common in the art of Late Antiquity. For a couple of centuries after the end of iconoclasm such naturederived imagery was more rarely associated with depictions of the Virgin, but it returned again in a few well-known paintings during the twelfth century. These works include the miniatures in the homilies of James of Kokkinobaphos and the late twelfth-century icon of the Annunciation at Mount Sinai. After 1204 there is nothing in Byzantine art to match these Comnenian paintings for their lavish use of nature-derived imagery to reference the Virgin. Even the illustrations of the Akathistos hymn emphasize anthropomorphic compositions at the expense of metaphorical motifs. In my presentation I attempt to explore some of the motivations that led Byzantine artists to successively reject, accept, and then again reject the nature-derived metaphors provided by the literature of their church. Among the factors to be considered are: the requirement to prioritize the human image over the symbolic in the portrayal of the incarnation (82nd canon of the Quinisext Council), the need to differentiate Christian images more strictly from pagan ones in the face of iconoclast attacks, and the necessity for a tighter self-definition by the Greek church after the Latin conquest of 1204.

 

Ingela NILSSON
Paratexts and ‘Palimpsests’: A Reappraisal of Literary Mimesis in Byzantium

Even though we have gained much knowledge of Byzantine literature since the 1960s, when Hunger wrote his famous article on mimesis in Byzantium, we are still fumbling around with the same limited vocabulary: one author is imitating another by quoting or alluding to his model. This does not get us very far in understanding what is really going on in a text, especially since we are still struggling with the 19th-century image of imitation as a less valuable form of art, and Byzantine literature as merely recycling the ancient heritage. We are in need of methodological development in order to come to grips with the aesthetics of imitation and its significance for Byzantine culture. Gérard Genette’s concept of ‘transtextuality’ may help us in the right direction. According to Genette, all literature is marked by its textual transcendence, i.e., all texts are inevitably linked to other texts in different ways. In order to distinguish these different kinds of relationships, he makes a distinction between five kinds of transtextual relations: intertextuality (quotation, allusion), paratextuality (titles, prefaces), metatextuality (commentary, criticism), architextuality (discourse, genre), and hypertextuality (the crucial relationship uniting a ‘hypotext’ with its underlying ‘hypertext’). These relationships overlap, interact, and create meaning. One advantage of Genette’s approach is that imitation is not viewed as something negative. Textual transcendence is inherent in all literature, so any text can be a hypertext, grafting itself upon a hypotext that it imitates and transforms. Some texts are more hypertextual than others, more explicitly ‘palimpsestuous’, as was the case in Byzantium. For a fruitful analysis of such a literature, we may profit greatly from Genette’s method. The terminology helps us describe and define the relationship between two (or more) texts in a more nuanced manner.At the same time the method brings to the fore the complexity of textual transcendence and the artistic nature of imitation. I shall attempt to demonstrate the benefits of such an analysis in my paper, with examples drawn from Byzantine narratives of the 10th–12th centuries.

 

Stratis PAPAIOANNOU
Mimesis as Performance:
From Political to Fictional Discourse in Medieval Byzantium

In this paper, I would like to employ the modern cultural critical term performance in order to explicate some of the meanings enveloped in the Byzantine notion of mimesis, and then explore different applications of these mimetic concepts within the history of medieval Byzantine writing. As I wish to argue, just like "performance the premodern Greek mimesis denoted a fundamentally ambiguous relationship between an original script or model and its enacted form or copy. Byzantine writers, especially when discussing the place of rhetoric within the Byzantine polity, were conscious of the ambiguity of mimesis: namely its ability to produce unity and identity or, alternatively, difference and disorder. As I intend to demonstrate, we can detect a gradual change in the understanding of mimetic discourse, from the tenth to the twelfth centuries. From an affirmation of political rhetoric as an order-inducing practice, Byzantines begin to value fictional writing as a potentially subversive discourse. My readings will move from the Book of Ceremonies (an imperial script) and Ioannes Sikeliotes’ Commentary on Hermogenes (a rhetorical script), to Michael Psellos and twelfth-century novelistic fiction with their emphasis on mimicry and ‘drama’.

 

Efthymia PIETSCH-BRAOUNOU
Ein Aspekt der Rezeption
der Anthologia Planudea in Epigrammen des Manuel Philes auf Bilder

Das umfangreiche epigrammatische Werk des Manuel Philes (ca. 1270–1335) ist schon lange von der byzantinistischen Forschung in Verbindung zur Anthologie antiker Epigramme gebracht worden, die der Gelehrte Maximos Planudes (ca. 1255–1305) um das Jahr 1300 hauptsächlich auf der Grundlage der Epigrammsammlung des Konstantinos Kephalas aus dem 10. Jahrhundert kompilierte. Pierre Waltz (Anthologie Grecque 1960, I : xxxiv) sieht in dieser Anthologie sogar den eigentlichen Impuls für die Epigrammproduktion des Philes: „Mais dès l’époque où elle [d. h. die Anthologie des Planudes – E. P.-B.] avait paru, sa publication avait donné une nouvelle impulsion à la poésie épigrammatique: quelques années plus tard, Manuel Philès, ami et disciple de Planude, s'exerçait avec succès dans toutes les branches de cel art.“ Tatsächlich lässt sich die Rezeption der Anthologia Planudea in den Epigrammen des Philes bei näherer Betrachtung konkreter fassbar machen. Beispielsweise fällt unter seinen über fünfhundert Epigrammen auf Kunstwerke eine Gruppe von ca. 100 ekphrastischen – in der Regel christlichen – Bildepigrammen auf, in welchen das Bild als lebensecht oder sogar lebend beschrieben wird, wobei oft auch die imaginäre kinetische und akustische Komponente des Bildes thematisiert werden. Diese Kompositionstechnik, die als das Motiv des „beseelten Bildes“ bezeichnet werden kann, ist natürlich ein topos der griechischen Dichtung und Rhetorik seit der Antike. Aber speziell in der christlichen byzantinischen Epigrammatik zwischen dem 7. und dem 14. Jahrhundert ist das Motiv nur sehr sporadisch belegt. Erst Philes verwendet es in großem Umfang und in vielen Variationen als zentralen Baustein zur literarischen Gestaltung ca. eines Fünftels seiner Epigramme auf Bilder. Die Tatsache, dass die zur Zeit des Philes entstandene Anthologia Planudea ca. 600 Bildepigramme enthält, von welchen 120 (also ein Fünftel) das Motiv des beseelten Bildes als zentrales Bauelement und in allen seinen Variationen aufweisen, lässt über die Inspirationsquelle des Philes wenig Zweifel. Trotzdem handelt es sich dabei um keine unüberlegte Übernahme eines nunmehr leeren topos, denn vor dem Hintergrund der Bilderrezeption in einem christlich-byzantinischen Kontext und in der spielerischen Art der literarischen Umsetzung durch Philes erweist sich das Motiv des beseelten Bildes als facettenreicher und vielschichtiger als in der heidnischen Epigrammatik und die literarischeMimesis als ein kreativer Prozess.

 

Andreas RHOBY
Wortschatz als Indiz für literarische Nachahmung?
Das Beispiel des Gennadios Scholarios

Das umfangreiche OEuvre des Gennadios Scholarios (zugänglich in der achtbändigen Ausgabe von L. Petit – X. Sidéridès – M. Jugie), des ersten Patriarchen von Konstantinopel nach der osmanischen Eroberung, wurde in der Vergangenheit in erster Linie hinsichtlich theologischer Fragestellungen ausgewertet. Bemerkungen zu Sprache und Wortschatz sind bislang hingegen kaum zu finden; nur vereinzelt haben die drei oben genannten Editoren sprachliche und lexikographische Besonderheiten festgehalten. Scholarios ist nicht nur ein fleißiger Wortschöpfer, von dem dutzende Neologismen überliefert sind, sondern aufgrund seiner guten Kenntnis der Literatur vergangener Jahrhunderte (auch bedingt durch seine Tätigkeit als Kopist) und seiner reichhaltigen Bibliothek ebenso ein eifriger Sprachbewahrer. Doch kann man bei den aus früheren (byzantinischen) Autoren geschöpften Wörtern immer von einer bewussten Übernahme oder gar einem „Vorbild“ sprechen, wie dies oft bei der Untersuchung des Wortschatzes eines bestimmten Schriftstellers geschieht? Bei vielen Wörtern muss man sicher davon ausgehen, dass sie bereits in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen waren, der Befund jedoch durch die unvollständige Überlieferung verfälscht wird. In einigen Fällen stellt Scholarios auch das Bindeglied zwischen einem nur in der Antike oder Spätantike attestierten und dann erst wieder im „Neugriechischen“ belegten Wort dar. Für viele Wörter, von denen man bislang annahm, dass sie erst im „Neugriechischen“ zu finden seien, liefert Scholarios hingegen den ersten Beleg, wobei freilich auch in diesem Fall nicht immer zu entscheiden ist, ob das Wort vielleicht nicht schon früher vorhanden war und nur die Quelle verloren ist. Daraus ergibt sich zwingend auch die Frage, ob es sich bei den „neugriechischen“ Belegen um Spontanbildungen handelt oder ob spätere Autoren direkt aus Scholarios schöpften. Im Vortrag soll auf die erwähnten Aspekte eingegangen und die Bedeutung des Scholarios für die Entwicklung des griechischen Wortschatzes unterstrichen werden.

 

Elisabeth SCHIFFER 
Zur Kommentation von Progymnasmata in Byzanz 

Progymnasmata, wohl seit hellenistischer Zeit im Unterricht praktizierte (Vor-) Übungen, standen an der Schwelle vom Grammatik- zum Rhetorikunterricht. In Byzanz sind sie untrennbar mit dem Namen des Aphthonios von Antiocheia verbunden, dessen Handbuch als Bestandteil des Corpus Hermogenianum unter allen Progymnasmata-Sammlungen die größte Verbreitung fand.3 Die von Aphthonios getroffene Unterteilung ergab die in der Folge gebräuchliche Anzahl von vierzehn derartigen Übungsreden in einem Corpus. Das besondere Interesse gilt in diesem Beitrag jedoch nicht den Progymnasmata selbst, sondern den in byzantinischer Zeit verfassten Schriften zu denselbigen. Allen voran sind hier der Kommentar des Johannes von Sardes aus dem neunten Jahrhundert und der des Johannes Doxapatres aus dem elften Jahrhundert zu nennen (bei beiden Texten handelt es sich um einen Kommentar zum Werk des Aphthonios). Um Erkenntnisse über die Auseinandersetzung der Byzantiner mit den Übungstexten, an denen sie ihre rhetorischen Fähigkeiten schulten, zu gewinnen, werden nicht nur die beiden genannten Kommentare, sondern auch z. T. anonym überlieferte Prolegomena sowie Scholien zu den Progymnasmata des Aphthonios und denjenigen anderer Autoren herangezogen. 

  

Sonja SCHÖNAUER
Zu Quellen und Vorbildern der profanen Dichtung der Kassia

Die Dichterin Kassia wird in der byzantinistischen Forschung vergleichsweise wenig wahrgenommen.Obwohl schon Karl Krumbacher ihr „Originalität der Gedanken“ sowie „Eleganz und Klarheit“ bescheinigt, hat es seit seiner Erstausgabe einiger ihrer Gedichte kaum Forschungen gegeben, die sich vornehmlich mit diesen beschäftigen; Beachtung fand zunächst ihre besondere Stellung als literarisch produktive Frau in Byzanz, und im Mittelpunkt späterer Studien stand meist die berühmte Legende um die Brautschau des Theophilos, bei der sich Kassia wiederum durch die Originalität und Eleganz ihrer Replik ausgezeichnet haben soll. Seit Krumbachers Zeiten hat sich jedoch der Blick auf die byzantinische Dichtung in beträchtlicher Weise verändert und weiterentwickelt. Der wichtigste Schritt im Hinblick auf die Gnomen und Epigramme der Kassia war sicher, daß Paul Maas das Prinzip des byzantinischen Zwölfsilbers ergründete und so philologischen Versuchen, die metrisch „freien“ Verse der Kassia in eine den Regeln der Prosodie genügende „Ordnung“ zu zwingen, die Legitimation entzog. Doch auch das Textcorpus nahm zu, da man noch in ein paar wenigen Handschriften auf Verse stieß, die zum Teil schon unter Kassias Autorschaft bekannt waren, zum Teil ihr nun aber auch zusätzlich zugeschrieben werden konnten. Zu einer modernen Ausgabe dieses auch in erweiterter Form noch sehr überschaubaren Corpus kam es jedoch nicht, unter anderem vielleicht deshalb, weil die liturgische Dichtung der Kassia schon seit byzantinischer Zeit die größere Aufmerksamkeit auf sich zog und ihrer Profandichtung stets der undankbare Platz eines zweitrangigen Produkts zugewiesen wurde. Einzelne und vorwiegend unsystematische Studien haben indessen immer wieder auf Bezüge zur antiken Gnomenliteratur verwiesen und die Vorlage der einen oder anderen Sentenz ausfindig gemacht. Ziel meines Beitrages ist es, auf der Grundlage dieser Studien in übersichtlicherer Weise zu zeigen, in welchen Texten Kassia die Inspiration für ihre eigenen Gnomen und Epigramme fand und wie sie dieses Material gestaltete.

 

Alice-Mary TALBOT
The compositional methods of a Palaiologan hagiographer: 
the wholesale borrowing of earlier texts by Theoktistos the Stoudite 

Extensive borrowing from earlier authors is not an unknown phenomenon among Byzantine hagiographers, witness Stephen the Deacon’s use of the miracula of Patapios in his vita of Stephen the Younger, and the copying of miracles from the vita of Luke of Steiris in the vita of Nikon the Younger. 
To the best of my knowledge, however, no Byzantine hagiographer engaged in as extensive borrowing from earlier texts as did Theoktistos the Stoudite in his three hagiographical works on the patriarch Athanasios I of Constantinople (1289–1293, 1303–1309), the vita, the enkomion and the translatio et miracula. These three Texts, composed in the 1320s and 1330s in support of the canonization of Athanasios, incorporate substantial verbatim passages copied from the works of Byzantine authors of the 4th–12th c., in addition to the more customary citations of classical works and holy scripture. In the vita of Athanasios approximately 20% of the text is borrowed, primarily from three authors, Gregory of Nazianzos, Michael Psellos and Niketas Choniates. The strictly biographical portions of the vita are written by Theoktistos, but he prefers to use the words of others for the rhetorical sections, such as his panegyrics of the holy man, invectives against Athanasios’ enemies, and purported speeches by the patriarch. The borrowed passages are in much higher style, and more likely to contain classical allusions; no doubt Theoktistos believed that they would enhance his composition and make it more worthy of his subject. 
My paper will examine closely Theoktistos’ rationale for his choice of borrowed passages, his efforts to select appropriate texts on each occasion, and his interweaving of his own words with those of his predecessors. I will also analyze the passages borrowed from the vita of Luke of Steiris in the translatio et miracula, in the effort to understand better Theoktistos’ use of this earlier saint’s life. 

 

Erich TRAPP
Zum Wortschatz des Neophytos Enkleistos

Nachdem bereits vor über einem halben Jahrhundert Tsiknopulos dem bedeutendsten mittelalterlichen Schriftsteller Zyperns eine umfassende lexikalische Untersuchung gewidmet hat, verfügen wir seit kurzem über eine kritische Gesamtausgabe seiner Werke, die eine präzise Kontrolle und Auswertung ermöglicht. Wesentlich erleichtert wird dies durch die den Einzeleditionen beigegebenen – freilich nicht unbedingt ausreichenden – Wortlisten, ferner durch die Aufnahme der wichtigsten Wörter in das LBG sowie insbesondere durch die, allerdings noch nicht vollständige, Aufnahme in den TLG.
Im Zusammenhang mit dem Thema des Kolloquiums interessiert zunächst die Frage, inwieweit die Lexik hilft, möglichen literarischen Vorbildern unseres Autors auf die Spur zu kommen, indem wir das für das LBG gesammelte Wortmaterial vergleichen. Dabei ist unzweifelhaft Theodor Studites zu nennen, der ja als besonders tatkräftiger Abt und fruchtbarer Homiletiker das ideale Vorbild für Neophytos darstellen konnte. Beiden gemeinsam ist die Neigung zur Verwendung eigenwilliger Wortformen und Bildung ungewöhnlicher Neologismen, wie dies Fatouros für Theodor Studites gezeigt hat. Ähnlich wie sein Vorgänger aus der Zeit des Ikonoklasmus scheint aber auch der Autodidakt aus Zypern ein Lexikon zur Verfügung gehabt zu haben. Darüber hinaus lassen sich direkte Einflüsse früherer Autoren wahrscheinlich machen, wobei zuerst Theodor Studites zu nennen ist. Genauere Untersuchungen weisen aber auch noch auf andere Autoren, wie etwa Johannes Klimax, dessen asketisches Werk allgemein verbreitet war. Aus der Hagiographie kommt insbesondere die Vita des „erfundenen Heiligen“ Andreas Salos in Betracht, die sich seit der mittelbyzantinischen Zeit bis in die Neuzeit (auf dem Athos) besonderer Beliebtheit erfreute. 
Daß Neophytos mit Werken der Patristik vertraut war, ist als sicher anzunehmen, von bestimmten Autoren lassen sich einstweilen am ehesten Kyrill von Alexandria und Johannes von Damaskus wahrscheinlich machen. Was aber weit eher überraschen dürfte, ist die Tatsache, daß dem Neophytos weitab jeglicher hauptstädtischer Bildung in Grammatik und Rhetorik auch Homer nicht fremd war, wie bereits Tsiknopulos zeigen konnte. Dazu tritt ferner die offensichtliche Bekanntheit mit Werken des Eustathios von Thessalonike. Darüber hinaus gibt es natürlich Verbindungen zur liturgisch-hymnographischen Dichtung. Inwieweit anderseits Neophytos selbst als Vorbild für Spätere gedient haben könnte, läßt sich nicht so leicht feststellen. So können Berührungen mit volkssprachlicher Literatur zufällig sein. Schließlich erscheint es bemerkenswert, wenn offensichtlich von Neophytos geprägte Neologismen – wohl eher spontan – erst wieder in der Neuzeit zu belegen sind.