Matias BUCHHOLZ (Helsinki) 
Zur juristischen Fachsprache in den Petra-Papyri 

In diesem Beitrag soll das Verhältnis zwischen den dokumentarischen Papyri und den literarisch überlieferten Quellen zum römischen bzw. frühbyzantinischen Recht unter dem Gesichtspunkt der Sprache untersucht werden. Da die Papyri als Quelle für die Sprache des Rechtsalltags in den Provinzen verstanden werden können, dürfte es nicht nur vom linguistischen, sondern auch vom rechtsgeschichtlichen Standpunkt interessant sein, zu untersuchen, inwieweit sie durch die Sprache der Gesetze und der juristischen Literatur beeinflußt waren. Im Mittelpunkt des Beitrags stehen die bislang veröffentlichten Petra-Papyri (6. Jh.), die sich als eine für diese Frage besonders wichtige Quelle herausgestellt haben. 

 

Jean-Luc FOURNET (Paris) 
Les pétitions des Acta Conciliorum Œcumenicorum comparées à celles de la documentation papyrologique (Ve-VIe s.) 

Pour l’étude de la pétition d’époque protobyzantine, les Acta Conciliorum Œcumenicorumconstituent, avec les papyrus, la source la plus riche, du point de vue aussi bien quantitatif que qualitatif (textes souvent longs, parfaitement conservés, de forme variée, émanant de personnalités et adressés aux plus hautes autorités civiles et religieuses). En les confrontant avec les données livrées par la documentation papyrologique, on essaiera de rassembler les informations qu’ils livrent avant tout sur la terminologie et la diplomatique de la pétition. Si, dans ces domaines, on constaste une grande cohérence entre les pétitions livrées par ces deux types de sources, les ACO documentent abondamment des formes mal représentées dans les papyrus de la même période comme l'anaphora et la didaskalia. 

 

Jean GASCOU (Paris) 
Le ronflement injurieux dans l‘Antiquité 

Le "ronflement injurieux" peut intéresser un colloque sur la pratique juridique byzantine, puisque le grief de l'injure "dia rhinos" s'introduit dans les plaintes adressées aux autorités à compter du Bas Empire. On essaiera de définir ce bruit et de montrer comment sa perception a évolué pendant l'Antiquité: incongruité morale à des époques anciennes (ainsi Dion Chrysostome), blasphème et quasi-délit sous les Byzantins. 

 

Christian GASTGEBER (Wien) 
Kaiserliche Schreiben des 9. Jahrhunderts in den Westen 

Im Mittelpunkt des Beitrages steht eine Gruppe von Schriftstücken der Kaiserkanzlei in Konstantinopel: das Auslandsschreiben, dessen erster originaler Beleg aus den 40er Jahren des 9. Jahrhunderts stammt (so genannter Kaiserbrief von St. Denis). Während dieses Dokument noch auf Papyrus geschrieben ist, scheint der kaiserliche Auslandsbrief sehr bald dem Purpurpergament mit Goldtinte gewichen zu sein, nach einem neuen Quellenbeleg vielleicht sogar noch im 9. Jahrhundert. Überlegungen zum Genus der Auslandsschreiben und zu inhaltlichen Darstellungsformen sollen neueste Echtheitszweifel an dem Schreiben der Kaiser Michael II. und Theophilos an Kaiser Ludwig den Frommen von April 824 (Dölger, Reg. 408) relativieren. Gegenüber der vom Referenten vertretenen Ansicht, dass das doppelsprachige (griechisch-lateinische) Auslandsschreiben schon unter Kaiser Basileios I. anzusetzen sein könnte, ist nun wohl doch ein späteres Datum anzusetzen. 

 

Jana GRUSKOVÁ (Bratislava / Wien) 
Zwei neue Basiliken-Handschriften aus dem 11. Jh. in der Österreichischen Nationalbibliothek
Paläographisch-kodikologische Analyse 

Im Jahre 2003 wurden unter den Wiener griechischen Palimpsesten Reste von zwei neuen juristischen Handschriften entdeckt: 48 Blätter aus einer Minuskelhandschrift der Basiliken, die etwa in den Anfang des 11. Jh. zu datieren ist, und 23 Blätter aus einer anderen in Minuskel geschriebenen Handschrift aus der Mitte des 11. Jh., einer bis jetzt unbekannten Bearbeitung der Basiliken. Die systematische Untersuchung des neugewonnenen Materials ist noch nicht abgeschlossen worden, obwohl bereits signifikante Erkenntnisse erzielt werden konnten. Der Beitrag wird die Ergebnisse einer paläographisch-kodikologischen Analyse und Rekonstruktion der alten Codices präsentieren. 

 

Sophie KOVARIK (Wien) 
Die completio in den Tabellionenurkunden aus Ägypten 

Ein wichtiges Merkmal der spätantiken Tabellionenurkunde ist die notarielle completio. Wie mehrere hundert Urkunden aus Ägypten zeigen, waren diese Unterschriften selbst im griechischen Osten nicht immer nur in griechischen Buchstaben, sondern oft auch in griechischen und lateinischen Buchstaben und bisweilen sogar nur in lateinischen abgefaßt. J. Diethart / K. A. Worp, Notarsunterschriften im byzantinischen Ägypten (MPER N.S. XVI), Wien 1986, haben das zu ihrer Zeit bekannte Material gesammelt und ansatzweise ausgewertet. Viele Fragen hinsichtlich der Deutung der Zeichen und Kürzel, welche die Notare in diesen Unterschriften verwenden, sind jedoch nach wie vor ungeklärt. Der Vortrag beabsichtigt, nicht zuletzt anhand neuer Papyrusfunde, auf verschiedene bislang vernachläßigte Aspekte der Notarsunterschriften, so etwa regionale Unterschiede in ihrer Gestaltung, paläographische Merkmale der lateinischen Buchstaben sowie verbreitete Gepflogenheiten im Gebrauch von Paraphen, aufmerksam zu machen. 

 

Claudia KREUZSALER (Wien) 
Beurkundung außergerichtlicher Streitbeilegung in den Papyri 

Während dem papyrologischen Quellenmaterial der hohen Kaiserzeit kaum Informationen über Vorhandensein und Funktionieren der außergerichtlichen Streitbeilegung zu entnehmen sind, scheint diese – der Dokumentation nach – in Ägypten erst im 4. Jh. einzusetzen und im 6.-7. Jh. eine Blüte zu erleben. Aus der Spätantike kennen wir etwa fünfzig Vergleichsverträge (dialyseis) und mehr als zwei Dutzend Schiedsabkommen (compromissa) sowie einzelne Texte, die das schiedsrichterliche Verfahren beleuchten. 
Die Beurkundung dieser unterschiedlichen Formen der Streitbeendigung folgt jeweils bestimmten Kriterien, aus denen wir Musterformulare rekonstruieren können. Im Vortrag werden die typologischen Merkmale der einschlägigen Urkunden untersucht und einander gegenüber gestellt. Dabei wird auch der Frage nachgegangen, inwieweit die Beurkundungsformen einen möglichen Erklärungsansatz für den zu beobachtenden Anstieg der außergerichtlichen Streitbeilegung in der Spätantike bieten können. 

 

Erich LAMBERZ (München) 
Die Überlieferung der Akten des Nicaenum II in den kanonistischen Sammlungen

Die für die Edition von Horos und Kanones des Nicaenum II in der Neuauflage von Alberigos Conciliorum Oecumenicorum Decreta unternommene Untersuchung der Überlieferung dieser Texte in den kanonistischen Handschriften des 9.-13. Jahrhunderts erbrachte Aufschlüsse zur Textentwicklung der kanonistischen Sammlungen, die über die Texte des Nicaenum II hinaus wohl Beachtung verdienen. Wie der Vergleich mit der Aktenüberlieferung zeigt, läßt sich eine nicht unwesentliche Veränderung der Texte von den ältesten kanonistischen Zeugen des 9. Jahrhunderts bis hin zur Vulgata des 12. und 13. Jahrhunderts feststellen, wie sie sich in der Ausgabe von Rhalles-Potles manifestiert. Diese Veränderungen sind nicht etwa nur durch das Streben nach sprachlicher Normalisierung bedingt, sondern stellen, wie der Beitrag zeigen soll, zum Teil erhebliche Umformungen und Erweiterungen des ursprünglichen Textes dar. 

 

Fritz MITTHOF (Wien) 
Juristische Fachliteratur auf Papyrus 

Die Papyrussamlung der Österreichischen Nationalbibliothek besitzt knapp ein Dutzend Fragmente juristischer Fachliteratur in lateinischer und griechischer Sprache aus dem spätantiken Ägypten. Der Großteil dieser Bruchstücke ist bereits seit langem bekannt, doch treten immer wieder auch Neufunde hinzu. Bislang ist das Material nur in paläographischen Facsimile-Werken abgedruckt, so vor allem bei E.A. Lowe, Codices Latini Antiquiores X (Oxford 1963). Transkriptionen oder Kommentare existieren nicht, und aus diesem Grund fehlt auch eine Analyse der Texte von rechtshistorischer Seite. Im Vortrag sollen zum einen die Ergebnisse einer kritischen Revision dieser Fragmente präsentiert und zum anderen die generelle Bedeutung der ägyptischen Papyrusfunde für unsere Kenntnis von den verschiedenen Gattungen juristischer Schrifttums in der Spätantike und deren Verbreitung bzw. Gebrauch in der damaligen Rechtspraxis erörtert werden.

 

Federico MORELLI (Wien) 
Kanzleischrift und Minuskel: Funktion und gegenseitiges Verhältnis

Mit dem 7. Jahrhundert taucht in den Papyrusurkunden als schon geformtes und kanonisiertes graphisches Phänomen eine neue Schrift auf, welche die wesentlichen Merkmale der späteren byzantinischen Buchminuskel aufweist. Dieses Phänomen wurde schon zur Zeit der frühen Papyruspublikationen Anfang des 20. Jahrhundert erkannt und in der Folgezeit mehrmals von Paläographen und Papyrologen verschiedentlich dargestellt und untersucht. 
Eine Prüfung der Anwendungsbereiche dieser neuen Urkundenschrift zeigt, daß sie meistens einigen Textarten bzw. Textteilen vorbehalten war, die unmittelbar vorher Terrain der spätantiken griechischen Kanzleischrift oder der ihr verwandten Schrifttypen waren. Anhand der Feststellung dieser funktionellen Gemeinsamkeiten werden die kennzeichnenden strukturellen Merkmale der Minuskel und der Kanzleischrift einerseits miteinander, andererseits mit jenen der zeitgenössischen Minuskelkursive verglichen und das Verhältnis zwischen den drei Schriften besprochen. 

 

Bernhard PALME (Wien) 
Prozeßprotokolle und Gerichtshöfe

Aus dem frühbyzantinischen Ägypten liegen über fünfzig bilingue Prozeßprotokolle (in mehr oder weniger fragmentarischem Erhaltungszustand) auf Papyrus vor. Im Vortrag wird zunächst die formale und sprachliche Gestaltung dieser Prozeßakten analysiert. Sodann werden die Informationen dieser Quellengattung bezüglich der richterlichen Instanzen und der Gerichtsorganisation ausgewertet. Ferner wird der Frage nachgegangen, was diesen Protokollen über die prozessualen Formen und der praktischen Anwendung der Verfahrenstypen (der litis denuntiatio, des sog. Libellprozesses und des Subscriptionsverfahrens) zu entnehmen ist. Schließlich ist auf das rätselhafte Verschwinden der Prozeßprotokolle in Justinianischer Zeit und damit auf die alte Streitfrage einzugehen, ob außergerichtliche Streitbeendung die statthalterliche Gerichtsbarkeit verdrängt habe und die staatliche Jurisdiktion in Ägypten um die Mitte des 6. Jh. zum Erliegen kam. 

 

Eleftheria Papagianni (Athen) 
Moral und Gesetz in einem Urteil des Patriarchen Matthaios I. über Bigamie und Fälschung 

Im Jahre 1400 annulierte das konstantinopolitanische Patriarchatsgericht unter Matthaios I. eine Ehe wegen Bigamie des Ehemannes. Bei der Regelung der finanziellen Angelegenheiten der Ehegatten versuchte der Patriarch die gesetzlichen Vorschriften seinen eigenen Ansichten über die Moral anzupassen. Dabei hatte er auch den Fall einer von einem in der Urkunde nicht namentlich erwähnten Person geleisteten Fälschung aufzuklären, wovon sein Urteil vielleicht beeinflußt wurde. 

 

Peter E. PIELER (Wien) 
PRK 89 zu den Folgen eines Eheabschlusses mit einer Minderjährigen 

Die Urkunde PRK I, 89 aus dem Jahre 1325 urteilt über eine Ehe, die ein Vater für seine elfjährige Tochter geschlossen hat. Durch Aufnahme des Mädchens in das Haus des Schwiegervaters und die dadurch ermöglichte vorzeitige Aufnahme des Geschlechtsverkehrs wurde die Minderjährige verletzt. Das Gericht scheidet die Ehe unter Hinweis auf die Minderjährigkeit der Frau, die körperliche Schädigung der Frau und die daraus resultierende Kohabitations-Unfähigkeit der Frau. In dieser Urkunde soll zweierlei untersucht werden: 
1. Die freilich später erlassene Urkunde PRK III, 206 bezeugt ein altes Verbot der Eheschließung Minderjähriger, für welche auch Strafen erwähnt werden. Davon ist in 89 nichts merkbar. 
2. In Anbetracht der Verletzung der Frau und des missachteten Obsorgeversprechens seitens des Schwiegervaters der minderjährigen Braut erscheint die diesbezügliche Zurückhaltung des Patriarchalgerichts seltsam. 

 

Luca PIERALLI (Vatikan) 
La professione di fede di Giovanni V Paleologo nel 1369: 
problemi editoriali e paleografici e genesi della traduzione di Demetrio Cidone 

Il 18 ottobre del 1369 l'imperatore Giovanni V fece una professione di fede cattolica nella chiesa romana di S. Spirito in Sassia. L´Archivio Segreto Vaticano conserva l´originale greco-latino, con firma rossa imperiale, del testo della Professione seguito da un atto notarile che spiega con grande precisione la maniera in cui fu preparata la traduzione greca dell´atto da parte del cancelliere imperiale Demetrio Cidone. L´atto e stato reso noto, secondo l`originale vergato e tradotto da Demetrio Cidone soltanto all`inizio del secolo scorso in una difettosa edizione di Lampros. Il mondo scientifico, senza saperlo, ha conosciuto un`altra versione del testo gia pubblicata da Allacci e ripresa in PG. Nel mio Referat mostrero la genesi della seconda traduzione e il suo rapporto con quella di demetrio Cidone.

 

Tonio Sebastian RICHTER (Leipzig) 
Privatrechtliche Urkunden in koptischer Sprache 
als Quellen der Rechtspraxis Ägyptens im 6.– 8. Jh. n.Chr. 

Der Vortrag nimmt seinen Ausgang von einem 646 n. Chr. in Koptisch aufgezeichneten Anhörungs-Protokoll, das uns im Papyrus Budge der Columbia University überliefert ist (SBKopt I 036). Dieses Protokoll ist Teil eines kleinen zweisprachigen Archivs, zu welchem auch die griechische Dialysis-Urkunde P.BM inv. 2017 aus dem Jahr 647 gehört, durch die der in P.Budge einem Kollegium von Friedensrichtern vorgetragene Streit schließlich beendet wurde. Im Anschluss daran werden Befunde und Fragen rund um die Urkundenherstellung in koptischer Sprache diskutiert: Wann, wo und warum kam es im Privatnotariat Ägyptens zur Ausfertigung von koptischen Texten zunächst neben und schließlich anstelle von griechischen Urkunden? Wie verhalten sich die Formulare koptischer Urkunden zu denen der gleichzeitigen oder etwas älteren griechischen Texte? Was erfahren wir aus den Texten über die zuständigen Urkundpersonen und -behörden? Und was bedeutet die Fortdauer der Tabellionenurkunde in koptischer Gestalt für die Rechtspraxis Ägyptens in den beiden ersten Jahrhunderten nach der arabischen Eroberung? 

 

Andreas SCHMINCK (Frankfurt am Main) 
Theodoros Skutariotes als Jurist

In der Erforschung des byzantinischen Rechts gilt die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts als "weißer Fleck": Während man für die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts über die Entscheidungen der Bischöfe Johannes Apokaukos von Naupaktos und Demetrios Chomatianos von Achrida sowie für die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts über die Produkte der thessalonizensischen Jurisprudenz (u.a. Synopsis minor, Prochiron auctum, Syntagmades Matthaios Blastares und Hexabiblos des Konstantinos Harmenopulos) sowie den Beginn des Registers der Patriarchen von Konstantinopel verfügt, existieren für die Jahrzehnte nach der Wiedereroberung Konstantinopels durch Michael VIII. im Jahre 1261 nur sehr wenige juristisch relevante Quellen. Hauptsächlich aus Marginalglossen juristischer Handschriften späterer Zeit ergibt sich, daß Theodoros Skutariotes, den August Heisenberg als Autor des wichtigsten Geschichtswerkes dieser Epoche nachwies, auch deren führender "Jurist" war. 

 

A. J. Boudewijn SIRKS (Oxford) 
Handelt Peira 45.11 von einem Erbvertrag? 

Peira 45.11 handelt von einem symfonon eines Grossvaters, wobei er eine Verfügung über seinen Nachlass macht. Es ist von Simon behauptet worden, dass es sich hier um einen Erbvertrag handelt, doch solche Verträge sind im justinianischen römischen Recht unbekannt. Deswegen soll der Fall nochmals genau erforscht werden, besonders weil es nicht unmöglich ist, dass die Wertung der Peira als eine Quelle, in der es an einer begrifflich orientierten Fachsprache fehlt, wohl zu sehr abschätzend ist. 

 

Bernard STOLTE (Groningen / Rom) 
Zwei neue Basiliken-Handschriften aus dem 11. Jh. in der Österr. Nationalbibliothek Inhaltliche Analyse 

Die handschriftliche Überlieferung der Basiliken ist stellenweise recht dürftig; mehrere der 60 Bücher sind nur indirekt oder überhaupt nicht erhalten. Um so willkommener ist jeder neue Zeuge, besonders wenn er Auskunft über ein verlorengegangenes Buch enthält. Versucht wird, vom Beitrag der neuen Wiener Palimpseste zur Textkonstituierung der Basiliken eine vorläufige Darstellung zu bieten. 

 

Addendum: Der sogenannte Nomocanon Vaticanus 

Eine Palimpsesthandschrift die heute über drei Codices verteilt ist hat ursprünglich einen Nomocanon enthalten. Die Schrift lässt eine Datierung ins achte oder sogar siebente Jahrhundert vermuten; wenn sie richtig wäre ist die Handschrift der einzige uns erhaltene Zeuge der mit Sicherheit vor der Fassung von 880/1 geschrieben worden ist. Probleme bei der Auswertung dieser Handschrift, technische sowohl als philologische, werden diskutiert. 

 

Spyros N. Troianos
Die neue Ausgabe der Novellen Leons VI.

Im September dieses Jahres erscheint die von mir vorbereitete neue Edition 
der Sammlung der 113 Novellen Leons des Weisen. Dabei handelt es sich eigentlich nicht um eine neue kritische Ausgabe. Mit Ausnahme von wenigen Fällen, in denen ich abweichenden Lesarten oder Konjekturen aus älteren Editionen den Vorzug gab, habe ich im Prinzip den Text von P. Noailles und A. Dain – allerdings ohne die zahlreichen Druckfehler der Ausgabe von 1944 – übernommen. 
Das Buch umfasst ferner eine neugriechische „Übersetzung“ des Novellentextes. 
Der griechische Orginaltext der Novellen wurde bereits im 16. Jh. von Henri Agylé ins Lateinische und dann in der Mitte der Dreißiger Jahre des 20. Jhs. von C. A. Spulber und einige Jahre später von P. Noailles und A. Dain ins Französische übersetzt. Sowohl die lateinische als auch die beiden französischen Übersetzungen sind sehr frei und weisen oft Missverständnisse auf, wie dies durch zwei Beispiele zu zeigen wird. a) Nov. 92 wurde unter folgenden Umständen promulgiert. Als Leon in einer die Ahndung einer vorsätzlichen Blendung betreffenden Strafsache von den alten Gesetzen Abstand nahm und anders entschied, brachte eine Person das Anliegen vor, der Kaiser sollte dieses durch Menschenliebe inspirierte Urteil in ein Gesetz umwandeln. Diese Person, die nicht namhaft gemacht wird, wird vom Kaiser als ὁ τῶν ἐν τοῖς θείοις ἡμῶν ἀποφερόμενος bezeichnet. Leon hat durch die Promulgation der in Rede stehenden Novelle den Wunsch dieser Person erfüllt, indem er meinte: „Wie hätte ich sein Anliegen ablehnen können?“. Da alle Übersetzer der Leon-Novellen der Meinung waren, es handele sich dabei um den magister officiorum (nämlich Stylianos Zautzes), haben sie den oben erwähnten Passus folgendermaßen wiedergegeben: „qui inter nostra sacra officia relatus est“ (Agylé), „celui qui est préposé à Nos sacrés offices“ (Spulber) bzw. „le maître de nos sacrés offices“ (Noailles/Dain). Diese Übersetzung halte ich aus mehreren Gründen für abwegig; die einzige Person, die dem Kaiser ein Anliegen hätte vorbringen können, wäre doch der Patriarch von Konstantinopel, im konkreten Fall Patriarch Stephanos, Leons jüngerer Bruder. b) Kleriker, die sich dem Würfelspiel widmen, werden gemäß Nov. 87 vorerst auf drei Jahre exkommuniziert und in ein Kloster eingesperrt, und wenn sie rückfällig werden, endgültig abgesetzt. Bei der Übersetzung des letzten Satzes der Novelle hat man übersehen, dass das Wort παναγής sowohl sehr heilig als auch verrucht, frevelhaft, erzböse bedeutet. Infolgedessen heißt der Ausdruck ἀθύρματα τῆς [richtig: τοῦ] παναγοῦς lediglich, dass die in Frage kommenden Kleriker als Spielzeug des Teufels (= τοῦπαναγοῦς) betrachtet werden. 
Darüber hinaus enthält das Buch ein Register der im Novellentext entweder expressis verbis zitierten oder nur angedeuteten älteren Regelungen, die jeweils modifiziert bzw. aufgehoben werden. Dadurch werden die Angaben in den Fußnoten von Spulber und von Noailles / Dain verbessert bzw. ergänzt.
Das Buch wird mit einem ausführlichen vocabularium aller (bis auf Artikel, Konjunktionen, Präpositionen und Ausrufewörter) im Novellentext 
vorkommenden Wörter beschlossen, das der Erforschung der stilistischen Eigentümlichkeiten des Textes dienen soll.